Angst vor Fremden, Angst vor Wirtschaftskrisen, Angst vor Krankheiten, Klimawandel, Globalisierung, vor Terror und Gewalt – die Liste der aktuellen Ängste, die unsere Gegenwart prägen, scheint lang. Dabei beeinflussen reale und vermeintliche Bedrohungen und die ausgeprägte oder diffuse Angst vor ihnen sowohl das persönliche Leben jedes Einzelnen als auch die gesellschaftliche Öffentlichkeit. Denn Ängste werden nicht nur individuell spontan erlebt, sondern sind als kollektive Phänomene zugleich kulturell vermittelt, werden unter­schiedlich kommuniziert, in Gesellschaftsdebatten zu den verschiedensten Zwecken instrumentalisiert, literarisch ausphantasiert und in vielerlei Weise mehr oder weniger aufwendig medial inszeniert. So sind etwa apokalyptische Endzeitvisionen ein einträgliches Kinogeschäft, wie zahlreiche Weltuntergangsfilme zeigen, die häufig unter Rückgriff auf Vorstellungen vergangener Kulturen Angst und Schrecken in technisch perfekt konstruierte moderne Bilder umsetzen. Dabei wird nicht zuletzt das Mittelalter immer wieder als Vergleichsepoche bemüht, wenn es um die Vorstellung einer „finsteren“, von Angst und Schrecken geprägten Zeit und den Versuch einer kulturhistorischen Einordnung aktueller Phänomene geht. Ausgehend von Ansätzen der Historischen Emotionsforschung, die sich in den letzten Jahrzehnten auch im Bereich der Mediävistik verstärkt um die Erforschung der kulturellen Codierung von Gefühlen bemüht, möchte die Vorlesung der Frage nachgehen, welche Ängste das Leben der Menschen im Mittelalter geprägt haben, wie sie versprachlicht und literarisiert wurden und welche Bewältigungsstrategien die literarischen Texte je nach Gattung ihren Zuhörern und Lesern anboten. Dabei soll nicht nur ein fundierter Einblick in die Lebenswelten und die Literatur einer vergangenen Epoche gegeben werden, sondern vor dem historischen Hintergrund zugleich die Aufmerksamkeit für die Bedingtheiten unseres zeitgenössischen Umgangs mit Ängsten geschärft werden.

Bibliographie:

Zur Einführung:  Georges Duby, Unseren Ängsten auf der Spur. Vom Mittelalter zum Jahr 2000, Köln 1996; Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Reinbek bei Hamburg 1985 (Originalausgabe: La Peur en Occident, XIVe – XVIIIe siècles, Paris 1978); Peter Dinzelbacher, Angst im Mittelalter. Teufels-, Todes- und Gotteserfahrung. Mentalitätsgeschichte und Ikonographie, Paderborn 1996; Claude Lecouteux, Das Reich der Nachtdämonen. Angst und Aberglaube im Mittelalter, Düsseldorf 2001; Angst und Schrecken im Mittelalter, hg. v. Annette Gerok-Reiter u.a. (Das Mittelalter 12), Berlin 2007; Damien Boquet/Piroska Nagy, Sensible Moyen Âge. Une histoire des émotions dans l’Occident médiéval. Paris 2015. – Johannes F. Lehmann, Geschichte der Gefühle. Wissensgeschichte, Begriffsgeschichte, Diskurs­geschichte, in: Handbuch Literatur und Emotionen, hg. v. Martin von Koppenfels u.a. Berlin u.a. 2016, S.140-157. 

Internetportale zur historischen Emotionsforschung:

Les émotions au Moyen Âge (EMMA). A research program on Emotions in the Middle Ages:

https://emma.hypotheses.org

Geschichte der Gefühle. Einblicke in die Forschung:

www.history-of-emotions.mpg.de