Wie fliessen Erkenntnisse von Sozialwissenschaften in die Politik ein? Was passiert allenfalls dabei mit den Sozialwissenschaften? Diese Fragen stellen sich ob der Debatten um  alternative Fakten, «Post-Wahrheitspolitik», der Pluralität der Wahrheit im politischen Bereich oder wechselnder Ideen). Einige Vorlesungen während des Semesters finden auf Deutsch statt, andere auf Englisch.

Demokratische Prinzipien und Wissenschaft sind zentrale Werte in den westlichen Gesellschaften. Im Idealfall liefert die Wissenschaft «Fakten» für die Politik, und die Politik nutzt die wissenschaftliche Forschung als Entscheidungsgrundlage. Es gibt jedoch Spannungen zwischen Wissenschaft und Politik. Ziele, Aufgaben, Begründungen und Zeithorizonte sind unterschiedlich. Während das Ziel für Politiker_innen das ist, was Max Weber «Sollen» nannte, ist «Sein» (so wie es ist) das Ziel für Wissenschaftler_innen. Politiker_innen verwenden Rhetorik und Überzeugungskraft, um Ideen in Richtlinien umzusetzen. Wissenschaftler_innen stützen sich auf kritische Argumentation und formalisierte Methoden bei der Suche nach intersubjektiven Befunden. Während für Politiker_innen der Zeitrahmen begrenzt ist und das Handeln durch Wahlzyklen eingeschränkt wird, benötigen wissenschaftliche Prozesse in der Regel viel Zeit.

In Kurs werden Konzepte und Werkzeuge erarbeitet, um zu verstehen, wie die Interaktionen zwischen Wissenschaftler_innen und Politiker funktionieren. Von besonderm Interesse ist das Verständnis der verschiedenen Logiken in der wissenschaftlichen Forschung und der politischen Entscheidungsfindung, und ob und inwieweit es möglich ist, in Beratungsprozessen eine Logik in die andere zu übertragen. In vielen Ländern verlangen Regierungen eine «relevante» Sozialforschung, und in einigen Ländern werden erhebliche Summen für die «strategische» Forschung bereitgestellt, d.h. zu Forschungsthemen, die der Staat als wichtig und entscheidend definiert (z.B. Nationale Forschungsprogramme in der Schweiz). Im Kurs sollen verschiedene Rollen von Wissenschaftler_innen an dieser Schnittstelle zwischen Politik und wissenschaftlicher Forschung diskutiert werden.  

Am Schluss des Kurses sollten Studierende verstehen, wie und warum einige Prozesse von der wissenschaftlichen Erkenntnis bis zur politischen Umsetzung erfolgreich sind und andere scheitern. Beispiele für beide Fälle werden diskutiert und analysiert. Zudem lernen Studierende, wie wissenschaftliche Erkenntnisse institutionell in die Politik einfliessen und wie politische Institutionen die wissenschaftliche Forschung beeinflussen. Weiter sollten Studierende unterschiedliche Nutzungsformen wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Politik erkennen und verstehen können. Schliesslich sollten die Studierenden in der Lage sein, sowohl die Rolle der Politik in der Wissenschaft wie die Haltungen von Wissenschaftler_innen in Bezug auf ihre Rolle gegenüber der Politik zu begreifen.


Lektüre zur Einführung

OECD (Ed.) (2001) Social Sciences for Knowledge and Decision Making (70–91). Paris: OECD Publishing.http://dx.doi.org/10.1787/5js33l1jcpwb-en

- Young, Ken, Deborah Ashby, Annette Boaz and Lesley Grayson (2002). Social Science and the Evidence-based Policy Movement. In: Social Policy & Society 1(3), 215-224.

- Parkhurst, Justin (2017). The Politics of Evidence – From evidence-based policy to the good governance of evidence. Abingdon, Oxon: Routledge