“Solidarität” gehört zu den Grundbegriffen der Soziologie und Sozialpolitik. Im 19. Jahrhundert hat einerseits Emile Durkheim die Unterscheidung zwischen der “mechanischen”, auf gemeinsamen Merkmalen beruhenden und der “organischen”, auf Interdependenz beruhenden Zusammengehörigkeit geprägt. Andererseits hat die Arbeiterbewegung sich im politischen Diskurs für die Solidarität am Arbeitsplatz und zwischen Beschäftigten in allen Ländern eingesetzt.

Die Forderung nach einer “grossen”, partikuläre Gruppeninteressen übergreifenden Solidarität finden wir indes auch bei den Antisklaverei- und Frauenbewegungen sowie in Religionen, wie etwa die päpstliche Enzyklika Rerum Novarum von 1891
dokumentiert.

Institutionalisiert ist die Forderung nach grossen Solidaritäten in Europa seit dem
20. Jahrhundert in einer Reihe von Sozialversicherungen, die Kranke, Behinderte, Arbeitslose und Alte vom Kommodifizierungsdruck der Arbeitsmärkte schützen, und progressiven Einkommens- und Vermögenssteuern, die eine Umverteilung von oben nach unten implizieren.

Die positive Konnotation des Solidaritätsbegriffs, die wir in der Schweiz am Beispiel des Rütlischwurs bereits in der Grundschule kennenlernen, kann jedoch nicht über die Kehrseite der Medaille hinwegtäuschen. So verweist u.a. das Konzept der “sozialen Schliessung” darauf, dass reale Solidaritäten häufig begrenzt, also “klein” sind, d.h. auf Familien, Gruppen, Unternehmen und Staaten beschränkt und folglich mit Ausschliessung und Benachteiligung von Nichtzugehörigen kombiniert sind.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen insbesondere die kleinen Solidaritäten wieder an Bedeutung zu gewinnen. Dabei wird an den “grossen” Solidaritätswerken kritisiert, sie würden auf Zwangsbeiträgen beruhen, von Menschen missbraucht, die es an sich nicht nötig hätten, und die Entfaltung der Individualität behindern.

Die Vortragsreihe wird entsprechend mit einer Einführung in die theoretischen Grundlagen des Solidaritätskonzepts beginnen. In der Folge werden einige Forschungsfelder in den Vordergrund gerückt, die grosse und kleine Solidaritäten empirisch erfassen. Im Schlussteil werden Beiträge thematisiert, die sich mit der Frage befassen, ob in unseren Gesellschaften die kleinen Solidaritäten auf Kosten der grossen an Bedeutung gewinnen. 

Der Ablauf der Veranstaltung ist der Folgende: 

45 Minuten Referat 

15 Minuten Gruppendiskussion zum Referat, um Fragen zu formulieren

30 Minuten Diskussion im Plenum. Während der allgemeinen Diskussion können Studierende aufgerufen werden, ihre Frage zu stellen.