(version française plus bas)
In diesem Seminar werden
wir untersuchen, wie die russische Literatur um die Mitte des 19. Jahrhunderts
die ‚soziale Frage‘ entdeckt. Anknüpfend an die Erzählungen Gogol’s machten
sich die Autoren der sog. ‚natürlichen Schule‘ daran, das Leben der einfachen
Menschen im städtischen Raum literaturfähig zu machen. Die Literatur sah es als
ihre Aufgabe, die verschiedensten Schichten der Gesellschaft auszuleuchten und
den Blick auf die materielle Not, auf das Leiden der Armen und Ausgestossenen
zu richten. Das soziale Sendungsbewusstsein der russischen Intelligenzija entstand
in dieser Zeit. Folgende Fragen werden uns beschäftigen: Wie wird die Armut
literarisch dargestellt? Für welche Aspekte des Phänomens interessierten sich
die Autoren? Welche sozialen, weltanschaulichen und/oder religiösen
Deutungsmuster werden verwendet? Lassen sich bestimmte ‚Diskurse der Armut‘
ausmachen? Gibt es eine Ästhetik der Armut? Wollen die Texte Empathie für die
Armen erzeugen oder gar zur Solidarität mit ihnen aufrufen? Oder schlagen sie
aus der Armut ästhetisches und ökonomisches Kapital? Textbasis werden die
Gedichte und Verserzählungen Nikolaj Nekrasovs sowie Fedor Dostoevskijs Romane Unižennye i oskorblennye (Erniedrigte und Beleidigte) und Bednye ljudi (Arme Leute) sein.
- Enseignant·e: Jens Herlth