Das Seminar möchte eine Tür zur Welt der geistlichen Spiele öffnen: Diese zwischen Spiel und Ritual, zwischen Theater und Kult stehende Gattung orientiert sich zum einen an den Festen des Kirchenjahres und bedient sich zum anderen biblischer, apokrypher und legendarischer Motive, um die heilsgeschichtlichen Ereignisse vor allem aus dem Leben Jesu verbal, mimetisch und musikalisch gerade den Laien näherzubringen.

Diverse Typen (zu Ostern, Passion, Dreikönige, Fronleichnam, Weihnachten, Weltgericht) zeigen das breite Gattungsspektrum der geistlichen Spiele. Sie werden im Seminar hinsichtlich ihrer liturgischen Grundlagen, Elemente und Bezüge behandelt. Ausgewählte historische Quellen werden gemeinsam gelesen, ihr Deutungspotential diskutiert; ebenso werden die Inszenierungen heutiger geistlicher Spiele untersucht. Konkretionen werden schwerpunktmässig aus der Schweiz gewählt, wie das Osterspiel von Muri, das St. Galler Weihnachtsspiel, das Freiburger Dreikönigs- und das Nikolausspiel, das Zürcher Passionsspiel sowie die Mysterienspiele von Silja Walter.

Auch die sprachlich-strukturelle Form, die thematischen und motivischen Akzente (Vergegenwärtigung, Kommemoration, Mitleiden etc.) sowie die gesellschaftliche Funktion der Spiele sollen näher untersucht werden. Zudem werden neue kulturgeschichtliche Forschungsparadigmen, die mit Begriffen wie Ritualität, Performativität, symbolischer Kommunikation und Medialität verbunden sind, in den Blick genommen.

Das geistliche Spiel nahm insbesondere im Spätmittelalter oft Züge eines religiösen Festivals, einer multimedialen Grossveranstaltung an. Ganze Dörfer und Städte waren in die Vorbereitung und Durchführung integriert: Denn es brauchte nicht nur begnadete Schauspieler und Regisseure, sondern auch eine nicht selten auf den ganzen Ort verteilte, nach liturgisch-topographischen Kriterien aufgebaute Spielbühne sowie zahlreiche Requisiten und Kostüme. Auch die aus Nah und Fern angereisten Zuschauer mussten bewirtet und beherbergt werden.