Diese Vorlesung wird in historischer Perspektive verschiedene Konzepte beleuchten, die aktuell in kulturellen und politischen Debatten intensiv debattiert werden: Transkulturalität und Hybridität, Mehrsprachigkeit, kulturelle Identität(en) und Anerkennung minoritärer/marginalisierter Perspektiven. Dazu wird Bezug genommen auf die Geschichte jüdischer Literaturen in Europa.
Im Zuge der Aufklärung entstand in Deutschland, Frankreich und in Teilen Osteuropas eine kleines jüdisches Bürgertum, das der Bildung einen hohen Wert beimass. Damit verbunden begannen jüdische Autorinnen und Autoren sich nicht mehr ausschliesslich über die Religion zu definieren, sondern sich der säkularen Literatur zuzuwenden. Für osteuropäisch-jüdische Intellektuelle hatte zunächst das Deutsche eine besondere Anziehungskraft als „Kultursprache“, doch waren Europäizität und komplexe kulturelle/religiöse Identitäten von Anfang an Bestandteil jüdischen Schreibens. So gab der Berliner Theaterkritiker Arthur Eloesser 1936 seiner jüdischen Kulturgeschichte den Titel „Vom Ghetto nach Europa“ – wobei das „Ghetto“ für kulturelle Marginalisierung und Diskriminierung stand, „Europa“ dagegen für Gleichberechtigung und humanistische Bildung. Nach dem Holocaust verkehrt sich diese Bedeutung und Europa wird aus jüdischer Sicht als Kontinent der Vergangenheit und der Vernichtung wahrgenommen, wobei sich v.a. ab den 2000er-Jahren wieder eine vielfältige jüdisch-europäische Literatur etabliert, die oft auch Migrationsliteratur ist.
Das Zentrum der Vorlesung bildet die deutschsprachig-jüdische Literatur und ihre europäischen Kontexte, es werden aber auch ausgewählte Werke und Autorinnen der französischen und der italienischen Literatur sowie der Literatur in der Schweiz diskutiert.

Lernziele
- Kenntnis ausgewählter Kontexte und Werke; z.B. die Briefe und Notizen Rahel Levin Varnhagens, die Prager jüdische Literatur (mit Franz Kafka), jüdisches Schreiben in Frankreich und der Schweiz (etwa Albert Cohen), Paul Celans Übersetzertätigkeit oder zeitgenössisches jüdisches Schreiben in Europa (Olga Grjasnowa, Sascha Mariana Salzmann etc.)
- Kenntnis der historischen Diskurse, um die besprochenen Texte einordnen zu können
- Verständnis der literatur- und kulturtheoretischen Zugänge und Begrifflichkeiten