Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe, Regenbogenfamilien und Transsexualität lösen oft kontroverse Debatten aus. Gegner*innen sehen die Institution Ehe, die Familie oder sogar die ganze Gesellschaft und „nationale Kultur“ gefährdet, während Befürworter*innen ihre Argumente mit Gleichberechtigung, Freiheit, oder Menschenrechten untermauern. Je nach Perspektive wird die Anerkennung von LGBT Identitäten und nicht-heteronormativer Liebe als Zeichen des gesellschaftlichen Fortschritts oder des Verfalls traditioneller Werte betrachtet. Dabei wird aber oftmals nicht berücksichtigt, dass rituelle homosexuelle Praktiken, nicht-binäre Geschlechteridentitäten und gleichgeschlechtliche Ehen in vielen Gesellschaften eine lange Tradition haben.

In diesem Seminar werden wir uns anthropologische Perspektiven und Werkzeuge aneignen, um den „Fortschritt vs. Tradition“ Diskurs kritisch zu hinterfragen. Dazu werden wir uns zuerst mit anthropologischen Darstellungen nicht-heteronormativer Praktiken, Beziehungen und Identitäten in nicht-westlichen Gesellschaften auseinandersetzen. Wir werden auch besprechen, wie diese Praktiken und Identitäten durch Kolonialherrschaft und Entkolonialisierung, LGBT Bewegungen und neueren geopolitischen Entwicklungen umgedeutet wurden. Danach werden wir anhand des Konzepts „Homonationalismus“ diskutieren, wie sowohl Befürworter*innen als auch Gegner*innen von LGBT Rechten gesellschaftliche Ausgrenzung und Hierarchien produzieren. Im letzten Teil des Seminars werden wir anhand neuerer anthropologischer Forschungen untersuchen, wie homosexuelle und nicht-binäre Identitäten und Praktiken im Alltag gelebt und verhandelt werden. Dabei werden wir unser Augenmerk darauflegen, wie diese Praktiken und Verhandlungen geläufige Vorstellungen über Gegensätze wie Fortschritt und Tradition, religiös und säkular komplizieren.