Kosovar*innen bildeten in den 1990er Jahren eine der größten Zuwanderungsgruppen der Schweiz. Doch bereits vor dem Kosovokonflikt 1998/99 reisten vielen Kosovo-Albaner*innen in die Schweiz, einige als politisch Verfolgte, andere als Student*innen, viele als Gastarbeiter*innen in Schweizer Betrieben. In Dokumenten der Schweizer Verwaltung und Justiz tauchten sie zumeist unter dem Oberbegriff «Jugoslaw*innen» auf. Doch woher genau stammten sie und weshalb kamen sie hierher?

Kosovo (abgeleitet von «Kosovo Polje», Amselfeld) war im letzten Jahrhundert einerseits Teil Serbiens und Montenegros (ab 1912), dann des Ersten Jugoslawien (ab 1918), für vier Jahre (1941-1944) Teil «Grossalbaniens» und schliesslich bis zu seinem Zusammenbruch 1992 Teil der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. 2008 proklamierte Kosovo seine Unabhängigkeit, die jedoch nicht von allen Staaten akzeptiert wird. Die Schweiz aber anerkannte die Unabhängigkeit Kosovos nur zehn Tage nach deren Ausrufung an.

Dieses Proseminar widmet sich der Frage nach der Entstehung und dem Ausbau schweizerisch-kosovarischen Beziehungen und den Verflechtungen, die sich daraus in politischer, wirtschaftlicher, kultureller aber auch sozialer Hinsicht ergaben. Während der Zwischenkriegszeit etwa behandelte der Völkerbund in Genf zahlreiche Petitionen albanischer Minderheiten in der Region Kosovo, damals Teil des jugoslawischen Königreichs. Im Kalten Krieg pflegten die Schweiz und Jugoslawien als «blockfreie Staaten» enge wirtschaftliche Verbindungen. Schweizer Vertreter*innen waren stets auch über die Ereignisse im Kosovo informiert.

Wir werden gemeinsam den Stand der Beziehungen und Verflechtungen Kosovo-Schweiz von ihren Anfängen bis 2022 erarbeiten, indem wir einerseits nach Akteur*innen und Ereignissen fragen, die solche Beziehungen förderten und vorantrieben, andererseits aber auch, welche Verflechtungen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene daraus resultierten. Der Schwerpunkt soll dabei auf den Themen Selbst- und Fremdwahrnehmung (Stichworte «Fremdenfeindlichkeit» und «Gastfreundschaft»), sowie auf kultur-, sozial-, wirtschafts- und politikgeschichtlichen Aspekten beider Länder liegen.

Neben empirischen Annäherungen an die Thematik, werden in einem einführenden theoretisch-methodischen Teil Einblicke zu unterschiedlichen Arten von Geschichtsschreibung gegeben und diskutiert werden; beispielsweise solche, die nationale Narrative in den Vordergrund rücken, bei welchem Ausländer*innen kaum einen Platz haben, oder aber andere, die darauf bedacht sind, der kulturellen Vielfalt in der Schweiz und Kosovo Rechnung zu tragen.