Kollektive Kunstpraktiken haben in jüngster Zeit grosse Aufmerksamkeit erfahren: 2021 waren fünf Kollektive für den renommierten Turner Prize nominiert; 2022 wurde die viel beachtete Kunstausstellung documenta, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet, mit ruangrupa zum ersten Mal in ihrer Geschichte von einem Kollektiv kuratiert. Zahlreiche Publikationen und Museumsausstellungen haben sich der Frage angenommen, was es heisst, Kunst im kooperativen Verbund zu erschaffen, aber auch, was Gemeinschaftlichkeit für die Vermittlung und Rezeption von Kunst bedeutet.

Das Thema ist an sich nicht neu. Bereits die Werkstätten der Renaissance bauten auf Arbeitsteilung auf. Der kunsthistorische Kanon tut sich jedoch immer noch schwer damit, sich von der Vorstellung des individuellen – meist männlichen – Künstlergenies zu trennen. Im Unterschied dazu fokussiert die Vorlesung auf die besonderen Möglichkeiten, die sich für emanzipatorische Projekte ergeben, wenn Kollektivität nicht verschleiert, sondern zum zentralen Bestandteil der Produktion oder Rezeption von Kunst wird. Zugleich adressiert sie auch die Mechanismen des Ein- und Ausschlusses, die mit Gruppendynamiken stets einhergehen.

Ausgehend von der Idee von Komplizenschaft zeichnet diese Vorlesung eine Kunstgeschichte kollektiver Praktiken im 20. und 21. Jahrhundert im Spiegel von Klasse, Gender, Race und Behinderung nach. Anhand ausgewählter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Kontexten liegt der Fokus auf marginalisierte und machtkritische Positionen. Kollektive Praktiken werden somit als Chance aufgefasst, eine andere Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart aufzuzeigen, die eine besondere Resonanz in aktuellen Diskursen an der Schnittstelle zu queerem Feminismus, Critical Race Theory und Disability Studies finden.