Im Oktober 2022 jährte sich der Beginn der Balkankriege zum hundertsten Mal. Die Balkankriege waren zwei rasch aufeinander folgende Konflikte, welche die territorialen Ansprüche und Aufteilungen Südosteuropas für immer verändern sollten. Obwohl sie sich nicht nur auf die lokalen Lebenswelten, sondern auch auf das internationale Machtgefüge der Grossmächte auswirkten, werden sie bis heute meist nur als Auftakt zum Ersten Weltkrieg genannt. Doch wer und welche Ziele standen am Anfang dieser Konflikte? Und wo führten sie Europa hin?

Dieses Proseminar widmet sich diesen Fragen und will dabei die komplexen Verhältnisse in Südosteuropa am Anfang des 20. Jahrhunderts genauer unter die Lupe nehmen. Denn die Balkankriege 1912/13 sind weit mehr als eine blosse Ouvertüre zum Ersten Weltkrieg. Sie zeigen die Vielfalt nationaler Bestrebungen in Südosteuropa auf der einen und das Ringen der Grossmächte in dieser Region auf der anderen Seite. Vor diesen Kriegen galt das Osmanische Reich noch als eine dieser Grossmächte, danach nicht mehr. Das entstandene Machtvakuum eröffnete lokalen und internationalen Akteuren zahlreiche Handlungsspielräume. Ausserdem weisen diese beiden Kriege zwei weitere neue Komponenten auf: einerseits die intensive internationale Berichterstattung aus den Kriegsgebieten, andererseits eine international zusammengesetzte Kommission, welche zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen eingesetzt wurde.

Neben empirischen Annäherungen an die Thematik, werden in einem einführenden theoretisch-methodischen Teil Einblicke zu unterschiedlichen Arten von Geschichtsschreibung und Geschichtsdiskursen gegeben und diskutiert. Während des Proseminars sollen insbesondere auch Quellen zur internationalen Berichterstattung in den beiden Balkankriegen und den danach eingesetzten internationalen Kommissionen zur Grenzziehung und der Carnegie Endowment for International Peace (CEIP) zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen berücksichtigt werden.