Von Euripides ist auf eindrückliche Weise zur Darstellung gebracht worden, wie Medea zwar mit sich ringt, schließlich aber doch ihr Zorn auf Jason stärker ist als ihre Vernunft und sie ihre beiden Kinder aus Rache tötet. Das Beispiel der Medea illustriert das Phänomen der Akrasia, einer Situation, in der jemand wider besseres Wissen handelt. Was das Phänomen der Akrasia philosophisch, aber nicht nur philosophisch, so faszinierend und spannend macht, ist, dass es ebenso wohlbekannt und alltäglich wie schwer erklärlich ist. In der Philosophie ist die Akrasia vor allem für die Handlungstheorie, die Moralpsychologie und die Ethik ein wichtiges Thema. 

In der klassischen Antike haben sich besonders Platon und Aristoteles mit dem Phänomen der Akrasia beschäftigt. In der Vorlesung sollen insbesondere der Sokratische Intellektualismus, die Seelenkonzeption Platons in der Politeia und in den Nomoi und Aristoteles’ Auseinandersetzung mit der Akrasia im siebten Buch der Nikomachischen Ethik zur Sprache kommen. Außerdem soll die Diskussion über die Debatten der Akrasia im klassischen Griechenland hinaus ausgeweitet werden auf das spezifisch christliche Verständnis der Willensschwäche in der Spätantike, auf die Konzeptualisierung unwilligen Handelns in der Monastik und auf die scholastische Debatte zwischen Intellektualisten und Voluntaristen über die Grundlagen menschlicher Freiheit.