Xenon (von griech. ξένον, „das Fremde“) ist eines jener Konzepte, welches in allen Geistes- und Sozialwissenschaften diskutiert wird. In der interdisziplinären Topographie taucht es auf wie ein Geist, der unterschiedliche Gestalten und Namen annimmt: der*die/das Fremde, der*die/das Andere im deutschsprachigen Raum, dazu gesellen sich relationale Begriffe wie Verschiedenheit, Differenz und Diversität, Alterität, Eigenheit, Selbiges oder Identität. Und der Katalog wird verwirrend erweitert durch eine Reihe von Begriffen aus dem Englischen (foreigner, alien, other, stranger) oder Französischen (l‘étranger, l’étrange, l‘autre). 

Die fehlende Einheitlichkeit widerspiegelt (wie bei anderen reisenden Konzepten auch) die Tatsache, dass es nicht den einen wissenschaftlichen Diskurs über „das Fremde“ gibt. Auch unter einem einzigen Namen versammeln sich unterschiedliche Definitionen, Lesarten und Ansätze: so ist in einer psychoanalytischen Bestimmung ein*e Fremde, wer sich selbst unheimisch oder fremd fühlt – fremdelt oder sich entfremdet. Nach einer soziologischen Definition ist der*die Fremde dagegen eine soziologische Konstruktion und der*diejenige, der*die von aussen kommt. Mit Anleihen an solche Bestimmungen verstand sich ein Teil der deutschsprachigen Ethnologie lange Zeit als „Wissenschaft vom kulturell Fremden“. In der Phänomenologie ist das Fremde dagegen absolut zu verstehen – als beunruhigender Stachel, ethische Herausforderung und vitale Ansteckung.

Grundsätzlich ist diese fehlende Einheitlichkeit gerade bei einem Konzept wie „das Fremde“ produktiv. Allerdings paart sie sich sehr oft mit einem unproduktiven Mangel an analytischer Klarheit.  Damit wir es effektiv machen können, bedarf es einer Ordnung xenologischer Lesarten und Figuren. Im Kurs versuchen wir, anhand von relevanten Textausschnitten aus den Sozial- und Geisteswissenschaften Lesarten und Bestimmungen „des Fremden“ kritisch zueinander in Bezug zu stellen. Ziel ist in einem ersten Schritt die gemeinsame Erstellung einer Kartographie eines mittlerweile höchst verworrenen diskursiven Feldes. Idealerweise eröffnet eine so gewonnene Karte die Möglichkeit für eine in sich stimmige Positionierung eigener Fragestellungen und die Verortung konkreter Figuren und Figurationen des Fremden, denen wir uns im zweiten Teil widmen: Aliens und Monstern, «Subalternen» und «Marginalisierten», «Wahnsinnigen» und «Devianten», Antikörpern und Viren, Xenophyten und Transplantaten.