ChardinDie Geschichte der Mimesis in der abendländischen Philosophie lässt sich als ein Wechselspiel aus Skepsis und Distanzierung wie Rehabilitation und Würdigung beschreiben. Diese Ambivalenz durchzieht bereits die Dialoge Platons. Die Politeia enthält eine fulminante Kritik der Nachahmungskunst: die Künste ahmen die sinnliche Wirklichkeit nach, die ihrerseits bloß ein Abbild der eigentlichen Wirklichkeit in Gestalt der Ideen darstellt. Den Erzeugnissen der nachnehmenden Tätigkeiten kommt daher ontologisch wie erkenntnistheoretisch eine untergeordnete Bedeutung zu; ja sie bergen sogar die Gefahren der Täuschung und des Missbrauchs, wenn sie für das eigentlich Wirkliche gehalten werden. Demgegenüber treten in anderen platonischen Dialogen aber auch die positive Seite der Mimesis zum Vorschein, sei es in der Kosmologie des Timaios, aber nicht zuletzt auch in der literarischen Form des Dialogs selbst.

Mit Aristoteles wird die Mimesis weiter rehabilitiert. Er sieht in der Lust an der Nachahmung ein entscheidendes Merkmal, wodurch sich der Mensch von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Ab dem frühkindlichen Alter stellt mimetisches Verhalten nicht nur einen entscheidenden Motor bei Lernprozessen jeder Art dar; damit scheint darüber hinaus ein regelrechter Eigenwert zu liegen: Im nachahmenden Verhalten werden bestehende Muster aufgegriffen, verdoppelt und angeeignet, aber teils auch persifliert und in ihr Gegenteil verkehrt. Mimesis steht für die Hervorbringung eines Als-Ob, das sowohl Angleichung als auch Differenz bedeutet.

In der ersten Hälfte des Seminars sollen die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffs der Mimesis im klassischen griechischen Denken (speziell bei Platon und Aristoteles) nachvollzogen werden. Mimesis kommt dabei offenbar eine konstitutive Rolle in der Herausbildung menschlicher Gemeinschaften sowie in ästhetisch-poetischen Praktiken zu.

Im zweiten Teil des Seminars untersuchen wir die Rezeption der Mimesis in Neuzeit (Kant und Hegel) und Moderne, wobei wir dessen Relevanz in der Kunstphilosophie und Narrationstheorie sowie in der Sozialtheorie diskutieren werden. Es wird zu klären sein, inwiefern Mimesis mit Konzepten wie Imitation oder Simulation zusammenhängt, und damit auch kritische Perspektiven für gegenwärtige Diskussionen künstlicher Welten parat hält.