Hermeneutik ist die Kunst des Auslegens von Texten. Als eigenständige Disziplin ist sie im Zusammenhang der Bibelexegese entstanden.

Hermeneutik setzt die Differenz von Eigenem und Fremdem voraus; ihre Aufgabe besteht darin, den Sinngehalt des Fremden und Anderen in das eigene Verständnis zu übertragen. Wo dies gelingt, spricht man von „Verstehen“. Damit ist aber auch deutlich, daß ein solcher Vorgang immer ein interpretierendes Moment enthält. Es wird nie gelingen, den Sinngehalt uns überkommener Texte vollständig auszuschöpfen, immer fügen wir Eigenes bei und lassen Fremdes weg, weil wir die uns anvertraute Tradition nur aus unserem eigenen Geistes­horizont heraus begreifen können; deswegen bleibt beim auszulegenden Text immer auch ein Sinnüberschuß bestehen, dessen wir nicht gewahr werden.

Mit dem Aufkommen der kritischen Bibelexegese im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert beginnt ein neues Kapitel theologischer Hermeneutik; als berühmte Schlagworte stehen hierfür die im 20. Jahrhundert von Rudolf Bultmann geprägten Begriffe der „Entmythologisierung“ und der „existentialen Interpretation“. An beiden Begriffen wird erneut deutlich, wie sehr philosophische Vorentscheidungen für ein Verständnis biblischer Texte prägend sind. Über diese muß man sich Rechenschaft ablegen, will man nicht in einen „hermeneutischen Zirkel“ geraten, der, statt ein „circulus virtuosus“ ein „circulus vitiosus“ ist.