Heimatort, Heimweh… den Menschen in der Schweiz wird ein besonders Verhältnis zur Heimat nachgesagt. Dabei changiert die Bedeutung von „Heimat“, wie man in „Grimms Wörterbuch“ (Bd. 10, Sp. 866) nachschlagen kann, zwischen dem Landstrich, wo man geboren wurde oder seinen bleibenden Aufenthalt gefunden hat. Dass der Aufbruch aus den heimatlichen Regionen oder die Rückkehr dorthin eine Geschichte ergibt, versteht sich fast von selbst. Aber auch die Heimat selbst, ihre Veränderung im Laufe der Zeit oder gar Gefährdung kann zur Erzählung werden, und zwar vor allem seit dem 19. Jahrhundert, als die überschaubaren dörflichen Strukturen zunehmend verschwanden.

Ausgehend von der engeren, herkunftsbezogenen Bedeutung setzen wir uns in diesem Seminar zunächst mit den Modellen Heimatliteratur aus der Schweiz des 19. Jahrhunderts auseinander: In diesem Zusammenhang werden wir Gottfried Kellers bekannte Erzählung „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ lesen. Zudem werden wir uns mit der skeptischen Wendung des Genres befassen, zum Beispiel bei Regina Ullmann am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, Dürrenmatts „Mondfinsternis“ und Arno Camenisch: „Ustrinkata“. Zugleich werden wir uns auch mit Erzählungen beschäftigen, die wie Melinda Nadj Abonjis „Tauben fliegen auf“ eine emotionale Spannung zwischen einer nicht-schweizerischen Heimat und der Integration in der Schweiz darstellen.