Die turbulente Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter hat in den vergangenen 100 Jahren zunehmend an Beachtung und Anerkennung gefunden. Entsprechend gross ist die Produktion von Romanen, Comics, aber auch Filmen und Serien, die sich mit Figuren beschäftigen, die sich in der „Adoleszenz“, im „Jugend-“ oder Teeny-Alter“ bzw. im „coming of age“ befinden.
In dieser Vorlesung werden wir uns der Frage widmen, welche Aspekte Adoleszenz ausmachen und wie sich diese in fiktionalen Darstellungen niederschlagen. Insbesondere werden wir uns der Rolle von Literatur bei der Begründung von Adoleszenz als eigenständige Lebensphase widmen. Denn während man in der Sozialgeschichte gemeinhin davon ausgeht, dass sich die Adoleszenz erst im 20. Jahrhundert überhaupt etabliert hat, finden wir bspw. mit Goethes „Leiden des jungen Werthers“ bereits am Ende des 18. Jh. ein eindrückliches Beispiel von einer Figur im erweiterten Jugendalter, die entscheidende Schritte ins Erwachsenenalter verweigert. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich eine Literaturgeschichte von subversivem Widerstand gegen die selbstverständliche Erfüllung von sog. Entwicklungsaufgaben. Ein Widerstand, für den es im Laufe des 20. Jh. immer mehr Raum gibt und auch zunehmend ‚cool‘ wird.
Nach einem Seitenblick auf skeptische Entwicklungsromane des 19. Jh. werden wir uns mit Schulromanen der Jahrhundertwende beschäftigen. Diese inszenieren für männliche Figuren häufig ein katastrophales Scheitern an den gesellschaftlichen Erwartungen (bspw. Hesse: „Unterm Rad“), für weibliche Figuren ein weniger aufregendes Pensionatsleben (von Rhoden: „Trotzkopf“). Demgegenüber nehmen im Laufe der Zeit Texte zu, die Ausbrüche aus dem geordneten, von Erwachsenen kontrollierten Rahmen zeigen (Salinger: „Catcher in the Rye“), zudem werden Ausbrüche zunehmend mit Gegenkultur und sogar Spass assoziiert (Herrendorf: „Tschick“). In diesem Zusammenhang werden wir uns über die im engeren Sinne literarischen Behandlungen hinaus medienkomparatistisch mit Comic-Darstellungen und Verfilmungen von Adoleszenz beschäftigen. Ebenso werden wir internationale Beispiele beachten.
Gerade die literarischen Darstellungen der Adoleszenzphase zeichnen sich häufig durch psychisch und zwischenmenschlich verstörende Ausnahmesituationen aus. Teilnehmer:innen sollten sich auf Texte einstellen, die auf eindrückliche Weise sich mit sensiblen Themenfeldern (bspw. Suizid, Drogenmissbrauch, Sexualität usw.) beschäftigen.
- Enseignant·e: Ralph Müller