Nuklearkatastrophen gehören zu den Meilensteinen unserer Geschichte: Fukushima 2011, Tschernobyl 1986, und davor (woran wir uns weniger erinnern) Three Mile Island 1979 und einige mehr. Wir Menschen haben jeweils wenig daraus gelernt. Auf eine kurze Phase der Erschütterung und einen Rückgang der Investitionen folgte stets eine neue Welle der Begeisterung. Doch was haben diese Katastrophen die Anthropolog:innen gelehrt und wie kann Anthropologie helfen, die menschliche Faszination und Auseinandersetzung mit Kernenergie und Radioaktivität im Allgemeinen zu verstehen? In diesem Seminar werden wir uns mit der sowjetischen Liebesaffäre mit der Kernenergie und dem riesigen Atomprogramm der UdSSR befassen. Wir besuchen das Atomwaffentestgelände Semipalatinsk in Kasachstan, die kirgisischen Städte voller radioaktiver Abfälle und die geschlossenen Uranminenstädte in Russland. Wir werden uns mit dem Platz der Kernkraftwerke auf der Landkarte des Krieges in der Ukraine beschäftigen, aber auch den boomenden Atomtourismus in Tschernobyl und ihre Verbindung zur Literatur und Filmindustrie analysieren. Wir blicken auf die Anfänge des globalen nuklearen Wettrüstens zurück und fragen, welche Stimmen in dieser Erzählung unterrepräsentiert bleiben und wie man die Geschichte dekolonialisieren kann. Und schliesslich werden wir uns mit den aktuellen Debatten rund um die Kernenergie und mit dem Atomaktivismus in Europa befassen. Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen der guten und schlechten Kernenergie?
- Enseignant·e: Emilia Roza Sulek