Bei der Interpretation eines diegetischen Texts darf man sich nicht allein auf die Gegenstände der Darstellung konzentrieren. Denn was ein solcher Text zu verstehen gibt, ist nicht zu trennen von der Modalität der Gegenstandsdarstellung. Erzählanalyse wird das Verfahren genannt, das sich um ein Verständnis der Modalität narrativer Diegese bemüht. Die Erzähltheorie (Narratologie) stellt die Begriffe zu Verfügung, derer sich eine solche Erzählanalyse zu bedienen vermag. Das Seminar wird sich um die Bekanntschaft mit einigen wichtigen Begriffen der Narratologie bemühen und diese an konkreten Texten zu erproben versuchen. Dies soll am Leitfaden der Frage nach der Wirkungskonzeption narrativer diegetischer Texte geschehen. Wenn wir narratologische Begriffe gebrauchen, um narrative diegetische Texte zu analysieren, so wollen wir dies also in der Absicht tun, Fragen nach den potentiellen Wirkungseffekten solcher Texte zu beantworten. Wie, so liesse sich beispielsweise fragen, schafft es ein narrativer diegetischer Text, seine Leser und Leserinnen emotional an der Darstellung von (fiktiven) Sachverhalten zu beteiligen? Weshalb vermag ein solcher Text seine Leser und Leserinnen auch nach Abschluss ihrer Lektüre noch andauernd zu beschäftigen? Und wie ist es zu erklären, dass man den einen Text realistisch und den anderen nicht-realistisch nennt? Diese und andere Fragen wird das Seminar auf der Grundlage der Einführung in die Erzähltheorie vom Tom Kindt und Tilmann Köppe (Stuttgart: Reclam, 2014) am Beispiel von Texten des so genannten literarischen Realismus des 19. Jahrhunderts diskutieren. Die Anschaffung besagter Erzähltheorie sei hiermit empfohlen. Zur Vorbereitung auf das Seminar sei fernerhin zur Lektüre von Gottfried Kellers Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe (1875) und Theodor Fontanes Roman Frau Jenny Treibel (1893) geraten