Mit dem Konzept der «Intersektionalität»
oder auch «Interdependenz» (Walgenbach 2012) werden verschiedene Dimensionen
sozialer Ungleichheit in ihrer Verschränkung und ihren Wechselwirkungen in den
Blick genommen. Darunter fallen insbesondere Geschlecht, soziale Klasse,
'Rasse', kulturelle Herkunft, Sexualität, Behinderung und andere. Welche sozialen
Dimensionen dabei relevant sind, hängt von der jeweiligen Situation und ihrem
Kontext ab.
Seit ihren Anfängen sind die Gender Studies
mit der Frage beschäftigt, wie das Wechselspiel insbesondere von Klassen- und
Geschlechterverhältnissen theoretisch zu fassen sei. In den 1980 Jahren machte
die Kritik von Schwarzen Frauen, von Frauen mit Migrationshintergrund oder von
Lesbischen Frauen – um nur einige zu nennen – darauf aufmerksam, dass
feministische Theorie und Politik aus der Position von weissen, heterosexuellen
Frauen der Mittelschicht entwickelt wurden, sich auf deren Erfahrungen bezogen
und die Erfahrungen von «anderen» Frauen nicht abbildeten. Der Begriff der Intersektionalität wurde
durch die afroamerikanische Juristin Kimberle Crenshaw (1989) in die Debatte
eingeführt. Am Beispiel von Justizfällen aus den USA zeigte sie auf, dass die
Diskriminierung von Schwarzen Frauen sowohl von sexistischen als auch von rassistischen
Strukturen herrührt und sich ihre Position von jener schwarzer
Männer wie auch von jener weisser Frauen unterscheidet. Crenshaw forderte
deshalb, die Zugehörigkeit zu verschiedenen marginalisierten Gruppen in ihrer Verschränkung
zu denken. Intersektionalität deckt heute ein weites
und interdisziplinäres Feld von Forschungen und Debatten ab. Gemeinsam sind den
verschiedenen Zugängen folgende Aspekte: (1) Der analytische Fokus hat sich von
der Vielfalt innerhalb der Genusgruppe der Frauen hin zur Verknüpfung von
Geschlecht mit anderen Dimensionen sozialer Ungleichheit verschoben. (2)Die gesellschaftlichen Machtstrukturen, die den einzelnen Dimensionen
zugrunde liegen, stehen im Zentrum. In den Blick genommen werden dabei nicht
nur die Mechanismen der Diskriminierung (z. B. von Frauen oder Schwarzen), sondern
auch jene der Privilegierung (z. B. von Männern oder Weissen), die oft
selbstverständlich erscheint und unsichtbar bleibt.
Eine intersektionale Perspektive auf das
Bildungssystem zeigt wie soziale Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund
in ihrem Zusammenspiel über Bildungswege und Zugang zu Hochschulbildung entscheiden.
Eine solche Perspektive kann auch hilfreich sein, um konkrete Lehr-/Lernsituationen
besser zu verstehen. Ein Beispiel: In den Interaktionen zwischen einer Dozentin
deutscher Herkunft und einem Studenten kurdischer Herkunft kommen
Geschlechterpositionen zum Tragen, die von der jeweiligen Herkunftskultur der Beteiligten geprägt sind. Oder: In einer Diskussion
werden sich europäische Studenten mit akademischem Hintergrund häufiger und mit
mehr Gewicht zu Wort melden als Studierende aus bildungsfernem Milieu oder
aussereuropäischen Kulturen. Schliesslich: Wenn sich Studentinnen aus dem
asiatischen Raum nicht aktiv am Unterrichtsgeschehen beteiligen, so kann dies
den Lernmethoden im Bildungssystem ihres Herkunftslandes ebenso geschuldet sein
wie geschlechterstereotypen Vorstellungen.